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Texte von Björn Ziegert

Teckelhatz

Paule war gerade fünfzehn als wir ihm den Unterschied klar machten. Wir sind Menschen und er – entgegen seiner Annahme – nur ein mieser kleiner Langhaardackel. Der Vorfall spielte sich früh am Morgen ab. Der Obsthändler stellte gerade seine Kisten auf die Strasse, es war sonnig und ich ging mit dem Teckel zum Bäcker. Wie so oft löste ich den Karabiner an Paules Halsband. Er lief erfreut ein paar Schritte über die ***gasse und um exakt 07:18 erfasste ihn ein heranrasender Milchlaster.
In Folge dieses schrecklichen Unfalls wurde der Hund charakterlich anders, ja gefährlich. Die Vielzahl an Brüchen hatte zu einer totalen Versteifung seines Rückrades geführt. Hochbeinig versuchte er seitdem zu laufen, musste dabei aber den Kopf senken, was ihm ein verschlagenes Aussehen verlieh. Das linke Auge war vollständig ausgeschlagen und auch den Schwanz hatten die Ärzte nicht retten können – ein Wunder dass die Töle überhaupt lebte.
Er hatte wohl angenommen, die Anteilnahme der Familie würde ihm nun so zuteil werden wie Onkel Emil, der nun schon seit vier Jahren auf dem dunkelgrünen Sessel saß, seine alte Feldmütze trug und kaum sprach. Doch mit dem Dackel wollte sich so recht niemand abgeben. Paule pflegten wir ungern. Immerhin er war schon fünfzehn, und ehrlich gesagt als er wiederholt gegen den Unterboden des Milchlasters schlug, dachte ich in etwa: "Sauberes Ende." Die 13 Tage stationär beim Tierarzt hätten wir nie bezahlt, aber das Vieh war versichert und wurde mit gut einem Pfund Titan verstärkt in unsere Obhut entlassen ("Der ist aber recht bissig, ihr Kleiner").
Wir hatten ihn in der Tierklinik nicht besucht – ja, seine hartnäckige Lebendigkeit störte die gelöste und wunderbar melancholische Stimmung, die sich im Haus schon verbreitet hatte. Paule erkannte das. Er sah in die Augen, die ihm den Tod wünschten, und duckte sich.
Im Februar stand die Polizei vor der Tür. Ein Nachbar hatte Anzeige erstattet, weil ihm unser Hund die Wade blutig gebissen hätte. Meine Frau hielt dem Schutzmann den 9 Wochen alten Zweithund entgegen, der seit jüngstem der Augenstern unserer Familie war. Wir konnten einfach nicht mehr warten. Sogar die Kinder hatten sich so gefreut "endlich keinen Dackel mehr" zu haben. Eine Dänische Dogge ist es dann nicht geworden, aber ein Welpe – und kein Dackel. Das schlafende Wollknäuel überzeugte die Beamten. Er sei zu klein für solche Wunden. Ich schloss die Haustür, drehte mich um und sah in der Ecke unter der Treppe die langen braunen Haare von Paule. Als ich näher kam knurrte er mich an.
In den folgenden Wochen entwickelte sich unsere Nachbarschaft zu einer Region des Terrors. Immer mehr Spaziergänger – seit jeher war das nahe gelegene Moor beliebt – wurden in der Dunkelheit von einem "rasenden Dachs" oder auch "tollwütigen Waschbären" (so Frau Dieckmann) attackiert und präzise verletzt. Wir sahen uns gezwungen den schon länger zurückliegenden Tod unseres Dackels zu erfinden, um nicht beschuldigt zu werden.
Paule führte mehr und mehr sein eigenes Leben. Durch die Klappe an der grünen Tür verschwand er, blieb Tage aus und wenn er im Haus war verkroch er sich. Manchmal fanden wir Stuhl.
Er muss sich oft im Moor herumgetrieben haben, denn die Feuerwehr machte noch bei Frost Jagd auf ihn. Die ältere Tochter des Oberbrandmeisters hatte bei einem Stelldichein mit dem Sohn des Reifenhändlers fatalerweise das romantische Flüsschen im Moor aufgesucht, und war dafür von Paule mit einer durchtrennten Arterie im Bein und einem abgebissenen Ringfinger belohnt worden. Der junge Reifenhändler fiel auf einen Stein und liegt noch im Koma.
Wahrscheinlich waren alle so aufgebracht, weil eine alte Geschichte in ihren Köpfen herumgeisterte. In den 50er Jahren soll hier ein Mann von einem Tier getötet worden sein. Aber sogar Frau Dieckmann erzählt immer neue Versionen davon und das alles ist reichlich unklar.
Eigentlich hatte der Jagdverband zur Hatz aufgerufen, doch nach Protesten dörflicher Tierschützer ("Rührt das Moor nicht an, sonst seid ihr selber dran") sprach man Verbote aus und die Feuerwehr handelte auf eigene Faust.
Die Jagd war sehr schön. Ich hatte mich den dicken Männern angeschlossen, die die sumpfigen Bereiche in breiter Schützenkette betraten – deutlich sichtbar in ihren leuchtenden Jacken. Alles war einen Hauch eisig und die Schritte knackten im Holz. Für ein paar Stunden hielten alle gut mit. Zum Frühstück reichte man mir Korn und Speck, wie ich erfuhr das übliche Pausenbrot bei der hiesigen Wache. Wir hatten in einer Senke Halt gemacht, saßen auf feuchten Stämmen, froren aber kaum. Der Korn mag seinen Teil dazu beigetragen haben, denn als hinter mir die Schreierei anfing und die ersten Schüsse knallten drehte sich alles vor meinen Augen und ich kam nur mit Mühe hoch.
Im Matsch sah ich einen der Männer mit aufgerissenen Augen, der seine Hand gegen den Hals presste. Die Anhöhe hinauf rannte Paule – unnachahmlich in seiner steifen Hochbeinigkeit. Ich zielte und schoss beide Läufe ab. Kurzes Jaulen, der Dackel stolperte und blieb fiepend liegen.

6 Kommentare

Ganz schön fies dem armen Hund gegenüber, sowas gehört sich nicht, bah pfui

;-)

Jetzt hab’ ich Ärger mit dem Tierschutzbund
wegen der Geschichte mit Paule dem Hund
und Jomei hasst mich bis auf’s Blut
auch dem Welpen geht es nicht mehr gut
Alles schlecht gelaufen
Ich geh’ jetzt einen saufen

Man könnte meinen, der Jäger hätte Tollwut und nicht der arme, kleine, liebe Dackel, welcher durch einen von Menschenhand gesteuerten Milchlaster zu Schaden kam. Darf man eigentlich einen tollwütigen Waidmann keulen? Und die anderen auch? Vorsorglich?

Klingt nach einer guten Idee fuer Teil 2.

Sprachlich sehr elegant, humoristisch tiefschwarz. Gefällt mir, die Gruselerzählung aus dem hohen Norden. Ist es angedacht, Weiteres in dieser Richtung zu verfassen? Ja? Nein? Hoffentlich! Sagt sich die Saloniere.

Liebe Saloniere, das wird natürlich gleich berücksichtigt - allerdings: dauert etwas länger. Derweil möchtest Du vielleicht mit den Feuerwehrleuten vorlieb nehmen. Die haben nämlich von der Paule-Geschichte erfahren, und touren seitdem von Feuerwehrfest zu Feuerwehrfest - mit der Teckelleiche als Maskottchen!

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