wortgebrauch Gedichte Texte Satire

Texte von Björn Ziegert

Glückstag

Nachbar Rottendorff ist tot
Ich hörte ihn noch rufen
"Helft mir doch!" (in Todesnot)
Dann lag er auf den Stufen

Im Treppenhaus war ich allein
Und er ja nun passé
Da war sogar ein Lottoschein
in seinem Portemonnaie

9 Kommentare

das ist alles so unglaublich hübsch zu lesen hier - eine wonne!

Oh, so eine Überraschung!

Das soll Glück sein? Dieser Mann,
der nun nicht mehr grüssen kann,
war beliebt hier im Quartier,
spielte Schach, manchmal Klavier,
und sprach mit dem Wellensittich.
Das soll Glück sein? Bjoern, ich bitt' dich!
Selbst der Lottoschein, ach nee,
ist nichts wert. Im Portemonnaie
findest du statt Geld, da schau -
nur ein Bild von seiner Frau,
die schon längst verstorben ist.
Weil er sie nie mehr vermisst,
könnte er nun glücklich sein.
Ist das Glück? Ich fürchte, nein...

glück im unglück würd' ich sagen, da brauchen nicht einmal die götter fragen. ; )

Nachbarschaftshilfe

Da ihr keinen Aufzug habt,
kommt Frau von Stetten angetrabt.
Du denkst gequält, das darf nicht sein,
hast in der Hand den Lottoschein.

Ihn schnell zurück
ins Portemonnaie gesteckt,
flüchtest du die Treppe hoch,
total erschreckt.

Kein Mensch ist da.
Sie wähnt sich ganz allein.
Verstohlen nimmt sie ihn,
den Lottoschein.

Spontan denkst du,
das werd ich ihr vermiesen,
beginnst, ein Stockwerk höher,
laut zu niesen.

Sie lässt ihn los,
genau wie du erschrocken,
verschwindet, macht sich
schnellstens auf die Socken.

Ins Portemonnaie
steckst du den Schein zurück.
Keiner ist im Treppenflur.
Ihr hattet beide Glück.

Der Lottoschein für sich allein,
kann nichts als ein Versprechen sein.

Der Finder ist nun ganz zerrissen,
vom Zweifel hin und hergerissen,
lässt er ihn, nimmt er ihn mit?
Super-Jackpot oder SHIT!

So oder so, das ist ganz klar,
sein Gewissen wird ihn plagen,
grausam durch die Sinne ziehn,
schlaflos quälen seinen Magen.

Mein Ratschlag an den Finder ist,
nimm ihn, weil Du ehrlich bist!

Gib ihn dann den armen Erben,
denn für sie ist sonst nichts drin,
außer einer Menge Scherben
Und den Zweifel schenkst Du mit:
Super-Jackpot oder SHIT!

glueckwunsch zum lottogewinn! jeder ist eben doch seines glueckes schmied, man muss seine chance eben nur sehen & nutzen.

kannst du mir geld leihen?

Sein Geist wird dich verfolgen, du mieser kleiner Dieb
Die Toten zu bestehlen ist weder fair noch lieb
Doch, Oh!, die Rache, die ist sein
Gerechte Strafe!, werd ich schrein
Wenn dich Donner trifft und Blitz
- Ja, fürchte dich, dies ist kein Witz!

marga, dieses hübsche Kompliment verstehe ich so, daß Du mehr von der ungewöhnlichen Lebensgeschichte meines Nachbarn Nestorius Rottendorff erfahren möchtest. Er kam ursprünglich aus Prag. Hatte sich in vielen Berufen durchgeschlagen. Als Milchmann, Wäscher - meist aber Kurzwaren. Dann eine Anstellung als Schankwirt auf der Prager Burg. Sein erster Arbeitstag war der 23. Mai. Eine große Gruppe friedliebender Protestanten - Blumenkinder zumeist - war auf die Burg gekommen, und Rottendorff hatte sie nach Strich und Faden abgefüllt. Als das Pazifistenpack im Burghof schlief, wurden die Herren Borsita und Slavata (undurchsichtige Gesellen, die auf der Burg den Ton angaben ) ungeduldig. Sie sagten Rottendorff, er solle die Hippies rausschmeißen. Er dagegen hielt die Zeit für gekommen, über Lohnerhöhung zu verhandeln. Kurz, die Sache wurde häßlich. Lauter Streit, Handgemenge; Schließlich warf Rottendorff die beiden Vögel aus dem Fenster. Dieser eigentlich harmlose Vorfall wurde von den Zeitgenossen gründlich missverstanden, und führte zu jahrelangen Auseinandersetzungen (teilweise gewalttätig).

Sammelmappe, eine Überraschung war wohl auch der zweite verbürgte Vorfall, durch den Nestorius Bekanntheit erlangte. Er hatte in Sarajewo den Sommer über als Kohlenschlepper gearbeitet. Bei Gelegenheit war er auch als Gigolo tätig. Acht oder zehn Frauen werden es wohl gewesen sein, die er finanziell erleichterte (und im Bett beschwerte). Für eine gewisse Sophie hegte er sogar Zuneigung. Eine echte Somerliebe, die jäh endete, als Sophies Ehemann Franz auftauchte. An einem 28. Juni schleppte Nestorius wieder einmal Kohlen, als er sah, wie der verhasste Franz mit 'seiner' Sophie auf einer romantischen Kutschfahrt durch die Altstadt gondelte. Rottendorff drehte durch. Er ließ den Kohlensack fallen, zog die Knarre und schoss zweimal - auf Franz und auf Sophie. Mausetot, erledigt von einem Arbeiter, der noch dreckige Hände von der Arbeit hatte. Wie sich herausstellte, war das Paar regional bekannt. Und wieder gab es Missverständnisse, Beschuldigungen und, und, und. Rottendorff hatte ein Händchen für Ärger.

quersatzein, die Frau von Rottendorff, auf die Du anspielst, hatte er in München kennengelernt. Er verdiente ein bißchen Geld als Bote für einen Fotografen, der überwiegend Hartgesottene aus der Münchener SM-Szene fotografierte. Über seine Eva, die hier Sekretärin war, lernte er allerhand schräge Vögel kennen. Unter anderem einen Maler, der sich regelmäßig gefesselt in Lederklamotte ablichten ließ. Nestorius freundete sich mit ihm an, und beeinflusste diesen eigentlich unpolitischen Menschen durch wirre Ideen aus der Zeit in Prag und Sarajewo. Eva hat sich diesem Maler dann schamlos an den Hals geworfen. Und sie verließ Rottendorff. Das Foto, auf das Du anspielst, hielt er bis zum Schluss geheim. Angeblich zeigt es Eva mit ihrem späteren Mann. Gefesselt und in voller Montur. Aber das sind Gerüchte.

monfiwi, die Götter befragen wollte Rottendorff nie. Aber auf Anraten seines Psychaters - er hatte unerklärliche Schuldgefühle und schlief schlecht - besuchte er Rom, um dem katholischen Erbe seiner Familie nachzugehen. Rottendorff nahm Urlaub von seiner Arbeit als Geldzähler bei einer türkischen Firma namens 'KapitalGesellschaftBursa' und machte sich auf den Weg in die heilige Stadt. Am 13. Mai kam er an und machte sich mit einer geführten Touristengruppe auf Entdeckungstour. Wie es zu dem moralisch zweifelhaften Vorfall kam, der sogar von der Presse beachtet wurde, ist mir nicht bekannt. Aber Rottendorff hat wohl einer amerikanischen Reisenden in eindeutiger Absicht unter den Rock gegriffen. Irritiert von ihrer ablehnenden Reaktion und verärgert durch die Beschimpfungen ihres Mannes, zog Rottendorff (wie so oft) die Waffe und schoss um sich. Angeblich wurde ein Mann bei der Schießerei verletzt.

giocanda, dieses moralisch einwandfreie Glück, das Du beschreibst, war immer das erklärte Ziel von Nestorius Rottendorff. Leider wurde er diesem Anspruch nicht immer gerecht. Als er wegen unflätigen Benehmens in ein Stuttgarter Gefängnis kam, gelobte er Besserung. Wegen seiner Abstinenz und seines gewinnenden Wesens war er bei den Wärtern sehr beliebt. Sie spielten Karten mit ihm, steckten ihm dann und wann eine Wurst zu und ließen ihn länger schlafen. Eines Nachts, es war der 18. Oktober, stibizte Nestorius einem der Wärter aus der Pokerrunde dessen Schlüsselbund. Beseelt von seinem neuen moralisch einwandfreien Geiste, besuchte er andere Gefangene (die Schlüssel hatte er ja). Jedoch geriet er mit den meisten in Streit. Die Gründe waren verschieden. Meist jedoch scheiterte eine fruchtbare Diskussion schon an seinem Begrüßungssatz "Knie nieder und bekenne, du Nichts!" Es hat wohl einige Opfer unter den Ungläubigen gegeben.

LadyArt, eine Menge Scherben und Trümmer hinterließ Rottendorff bei einem Lufttransport der amerikanischen Armee. Er war als Gefangener an Bord (pazifistische Hetze), und redete pausenlos auf die Bordbesatzung ein. Die Fracht bestand - neben einigen Gefangenen - in einer atomtechnischen Versuchsanlage, die zum Zwecke des Testens auf den amerikanischen Kontinent verbracht werden sollte. Rottendorff beschwörte die Männer. Ablassen sollten sie von der Teufelsmaschine. Nicht mittun bei der Sache des Unheils. Nicht zulassen, daß sie in die Vereinigten Staaten, nach Nevada gebracht würde. Denn Menschen - "kleine Seelchen" - könnten Schaden nehmen. Ob die Jungs von der Luftwaffe nun seines Geredes überdrüssig waren, oder ob er sie überzeugt hatte. Aber sie schmissen das ganze Technikgedöns auf Bitten Rottendorffs im japanischen Luftraum von Bord. Das Zeug muss aber jemandem auf den Kopf gefallen sein - es gab wohl Personenschäden.

bruemmer, Geldgeschäfte im größeren Stil tätigte Nestorius Rottendorff vor allem in den USA. Zumindest gab er vor, Geldgeschäfte zu tätigen. In Wahrheit hatte er sich eine neue Identität zugelegt (die Missverständnisse um die Sarajewo-Sache verlangten dies). Als russischer Erbe trat er in New York auf, verbreitete Gerüchte von unermesslichem Reichtum und lieh sich unter dem Deckmantel unbegrenzter Kreditwürdigkeit große Summen ("Er soll einen Raum voller Bernstein haben!"). An einem 25. Oktober - es war ein Freitag - flog die Sache auf. Rottendorff wurde gesehen, wie er mit amerikanischen Arbeitern sprach. Und sich lobend zu den revolutionären Vorgängen in Russland äußerte. Eine ganze Reihe von Krediten sollen in diesen Tagen geplatzt sein. Wie man hört, soll Nestorius die gleiche Masche jüngst noch einmal probiert haben. Aber die Ermittlungen wurden wegen seines Todes ohne Ergebnis eingestellt.

Dresi, was Rache angeht, hat es ja in den letzten Jahren viele Missverständnisse gegeben. Gänzlich falsch aufgefasst wurden auch die Patzer, die Rottendorff unterliefen, als er sich als amerikanischer Fluglotse ausgab. Wie immer hatte er mehr Blicke für die drallen Schenkel seiner bezaubernden Kollegin (einer gewissen Heather aus Delaware, Ohio) als für den Radarschirm - er nannte diesen Schirm immer "blinkenden Streuselkuchen". Es ist zu bezweifeln, ob Rottendorff überhaupt wusste, daß die Lichter etwas mit Luftfahrt zu tun hatten. Jedenfalls gab es drei oder vier Fehlentscheidungen, und Nestorius suchte wohl das Weite, als die Lichter auf dem Schirm zu viele wurden. Wie man hört hat er auf der Flucht vor Strafverfolgung meist in Küchen von billigen Restaurants als Tellerwäscher gearbeitet (einzig ist mir ein afghanisches Restaurant 'Hindukusch' bekannt).

Nun tut es mir fast Leid, daß Ihr so viel Mühe verwendet habt, um einen Mann mit Kommentaren zu ehren, den man doch nicht ganz unkritisch sehen sollte. Aber vielen Dank. Das Geschenk für heute ist natürlich etwas für Euer neues Hobby.

Ach, und vergesst nicht: Jetzt, wo Ihr am Wochenende bestimmt alle durch die Wälder streift, um Maronen und Steinpilze zu finden - passt auf die Schweine auf!

nach oben

nach oben