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Texte von Björn Ziegert

Gemein

Zwei Brüder, eine Schwester machen drei
Die vierte war ein kleines Kuckucksei
Man hieß sie dumm, man hieß sie doofes Schwein
Geschwister können hart und grausam sein

Sie war von einer Liebelei im Krieg
Der Mann war fort, er kämpfte für den Sieg
Und kam zurück und sah und sah genug
Und seitdem hieß die Kleine nur 'Betrug'

Sie war für sich. Sie wurde groß. Sie trank
Es fiel ihr schwer zu atmen. Sie war krank
Sie hat sich dann im Totenbett beklagt
Man hat ihr von der Sache nichts gesagt


(Notiz: Für meine Tante Gunde, mit der wir auf der Terrasse Zigaretten rauchten. Und über 'die da drinnen beim Familienfest' schimpften. Wir hatten prima Zeiten. Tolle Frau. Leider hat sie nie erfahren, warum man gemein zu ihr war. Sie ist Montag früh gestorben)

12 Kommentare

Wie bedrückend manche Leben sich anhören. Und wie gut es auch ist, dass es immer wieder Momente gibt, die in ihrer Schönheit alles Schlechte überblenden.

"Change has come to America"

hatte mir schon gedacht, dass es ein memento mori gedicht geben wuerde.

ich habe neulich kurz gedacht, ob deine tante »die sache« noch erfahren wuerde oder nicht.

seltsam, dass ich etwas so wichtiges ueber sie wusste & sie selbst nicht – kein angenehmes gefuehl.

auf mich wirkte sie immer traurig & leicht verwirrt; so scheint sie jetzt auch gestorben zu sein. tut mir leid.

Oh, wie tut die Frau mir leid!
Hatte denn kein Mensch den Schneid,
ihr in Würde zu begegnen?
Und man wünscht', ich sag's mal so:
Möcht' es Recht und Strafe regnen! -
(Doch zu spät. Jetzt sowieso...)

wie üblich wählten alle brav,
das schwächste Glied zum schwarzen Schaf.

leider (wir alle) nur outsider der wahrnehmung

gruß v. @miro

Ergreifende Geschichte. Behalte die "prima Zeiten" immer in Erinnerung.

es ist doch immer das gleiche - wir schaffen es, die traurigen nachrichten schnell in den alltag einzubinden und mit ihnen den weg weiterzugehen. nur selten gibt es momente, wo wir wieder anhalten und die situation nochmals betrachten können.
solch ein moment war eben - du sprachst mir aus der seele, bruder! danke! unvergessen die momente, die damals uns gehörten. dicken kuss, swansch

Die Wahrheit:

etwas frisches Blut
tat der Inzestfamilie ganz gut
Lina, Karl, Emil...
die armen Tröpfe
hatten die typisch
platten Köpfe

Gunde war intelligent und schön
sie erfuhr es nie
dass sie unglücklich enden würde
war abzuseh'n

Die Arme! Mein Beileid!

GEMEIN

Wie das, die Welt sie ist nicht gut?
Sie sei ein hehres Paradies, so schön, so sanft,
so wunderbar verschlungen, weich und fein,
umspielt von Harfenklängen, Balsamseim
in jeder Pore lusterfülltes Sein...

Doch eher nicht? Wie, nicht?
Schlecht sei sie, schlecht, gänzlich verderbt,
ein widerlicher Ort im Elendskleid
von Hinterhalt, Verrat und Krieg und Leid,
von Gier durchpulst, von Hass und Neid...

Schwarz – Weiß – Schwarz - Weiß

(Rot wie das Blut
und eitergelb
und himmelsblau
und wiesengrün
und rosenrosa
erdenbraun
und fliederfarben
honigsonnengold
und silbermondenweiß
türkisen,
grau wie Stein
und funkelnd diamanten,
schimmernd sternengleich,
und tausendfach gebrochen
im Regenbogen-Prismen-Farbenkreis...)

Von eisig kalt – Von warm bis heiß.


...und irgendwo da mittendrin
lebt sich’s gemein gemeinschaftlich,
lebt sich’s mal gut, mal eher schlecht,
lebt sich’s mal mäßig und mal recht,
lebt sich’s bescheiden und beschenkt,
beglückt, verflucht, gelobt, gekränkt...
lebt sich’s geschützt und bloßgestellt,
lebt sich’s halt so...das ist die Welt!


Von Platitüden fast erdrückt,
zieh ich mich jetzt beschämt zurück,
die Toten, sagt man, haben’s gut...
...
...
...

marga, hier vom Grippe-Bett aus wünsche ich mir, solche Momente würden bald wieder kommen. Aber meine Tante liegt nun unter der Erde. Wollen hoffen, daß sie auf ihrer Reise wieder gute Momente hat.

bruemmer, traurig und leicht verwirrt beschreibt eher die letzten Jahre. Sie war neben ihrer grundsätzlichen Verärgerung sehr lustig. Man konnte hervorragend mit ihr lästern. Viel lachen und draußen auf der Terrasse einen kleinen zwitschern. Sie hatte immer einen Hund dabei. Foxterrier, früher Dackel. Und sie war immer solidarisch mit meinen Schwestern und mir. Sie gehörte einfach zu uns. Mit ihrer lustigen grunzenden Lache. Und ihrem Glucksen. Jetzt, wo sie weg ist, wird mir klar, daß das Nazi-Pack ohne sie nicht zu ertragen sein wird. Und die Terrasse wird leer bleiben.

quersatzein, man möchte meinen, daß hier Strafe angebracht wäre. Aber wir kennen ja die Welt. Habe das selbst erfahren, als wegen meiner Nazi-Enttarnungen schon niemand mehr (auch sie nicht) Kontakt zu mir haben wollte. An ihrem Grab soll über die Sache mit der Herkunft kein Wort gesprochen worden sein. Ihre drei Geschwister haben sie - die Jüngste - still verscharrt. Und sind dann ins Restaurant gegangen.

giocanda, genauso war es. Fast noch schlimmer als ihre niederträchtigen Geschwister war allerdings meine Großmutter. Dass sie ihrer eigenen Tochter nichts erzählte, wo die anderen drei doch alles wussten, ist unverzeihbar. Und dass sie zusah, wie Gunde unglücklich lebte - und nichts sagte, weil es für sie selbst bequemer war - dafür fehlen mir die Worte. Ein Wunder, daß sie ihre Kinder nicht verhungern ließ.

@miro, sie hat aber immer recht deutlich gemacht, was sie von den Gehässigkeiten der anderen hielt. Wir aßen sogar den Kuchen auf der Terrasse!

Dresi, das werde ich machen. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn Menschen verschwinden, die so viele bedeutsame Geschichten in sich tragen. Wieviele Augenblicke hat so ein Leben? Wievielmal Lachen, Sonne oder Karussel als Kind? Und wieviele Male Waldmeistereis?

swansch, kann Gunde förmlich hören, wie sie uns entrüstet mit einem "Aber ...!" anfährt, weil wir jetzt beide nicht mehr rauchen. Dicken Kuss zurück!

Sammelmappe, das ist eine großes und tolles Kompliment. Vielen Dank!

Claudia Jo., es sind zwar nicht die platten Köpfe, aber wenn Du die Lebensgeschichten der drei Geschwister kennen würdest, wäre ein "wusst' ich's doch!" von Dir sicher angebracht. Staatsanwälte am Volksgerichtshof hinterlassen nicht die nettesten Kinder. Aber er hat sich ja zu früh erschossen, um das mitzukriegen. Da fehlten dann wohl ein paar gemeinsame Frühstücksrunden.

LadyArt, es sind keine Platitüden. Ich bin auch jeden Tag mehr beeindruckt von all den Geschehnissen. Moralische Urteile beziehen sich auf einzelne Menschen. Aber die Welt ist beeindruckend eigenartig. Am besten die Augen auf machen und viel mitnehmen - kann schnell vorbei sein das Ganze.

Danke für die vielen freundlichen Kommentare. Meine Tante hätte sich sicher sehr gefreut. Auf dem heutigen Geschenk hättet Ihr sie gut treffen können ("Habt ihr Kaffee mitgebracht? Ohhh ja, das ist gut!).

Also: letzter Salut!

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