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Texte von Björn Ziegert

Tiefer

Habe früher Nägel abgekaut
Heute schneide ich mir in die Haut
Wärme läuft aus meinem Arm in Rot
also lebe ich und bin nicht tot

24 Wunden sind verheilt
Beide Arme. Gleichmäßig verteilt
Kein Gefühl. Nur dieser leichte Schmerz
Mutter sagt, ich hätte wohl kein Herz

9 Kommentare

was geschah in diesen hunderttausend augenblicken
die sie lebte bebte zitterte erfror
was geschah in diesen hunderttausend augenblicken
als sie sich im wilden schmerz verlor
fing die einsamkeit die kälte einfach an im takt
einen schritt von weich nach hart
von warm nach kalt nach nackt?
was geschah denn dass als rinnsal ihre seele
langsam tropfend dort im niemandsland verschwand,
was geschah in diesen hunderttausend augenblicken,
hinter dieser kinderstirne
dieser kleinen unscheinbaren wand...

wer zwang ihr die seele aus dem leib
wer schält ab die haut aus selbstwertzuversicht
zerschmettert die gefühlstentakeln
zerrt am ich so lange, bis es bricht

hunderttausend augenblicke
hunderttausend satzsequenzen
hunderttausend bildsequenzen
hunderttausend aktsequenzen
hunderttausend ich in allem
hunderttausend ich und nirgends
hunderttausend ich und ich
hundertsausend suchaktionen
hunderttausend ohne dich...

Ihr Herz ist alt
und kalt – doch halt:
So darf’s nicht sein. Nein,
nein, ihr Herz ist rein
und warm und arm, so arm
und warm, dass Gott erbarm.

Oh, ein Herz hab ich wohl,
doch will ich´s ertränken,
in reichlich Alkohol.
oder lieber erhänken?

Die Schnitte sind nicht tief genug,
Schmerzen spür ich nimmer.
Vielleicht werf´ ich mich vor den Zug,
Es wird wohl immer schlimmer.

Ich könnt´ auch ins Wasser gehen,
und dazu noch Pillen nehmen,
sänke ich dann in tiefen Schlummer -
endlich vorbei der Liebeskummer.


An dieser Grenze stehen und dann ...
Hat mit Liebeskummer nichts zu tun, stimmt's? Mehr mit dem Druck und der Leere.

Fast noch zu schön in Vers und Reim für dieses Thema.

Grüße,
Z

"Fleur de sel."

Antwort gleich. Erst mal raus in die Sonne.

LadyArt, beeindruckend. Und schwer, Antworten zu finden. Was führt in die Dunkelheit? Die Sprachlosigkeit?

Quer, wünschen wir, daß jeder etwas von diesem Erbarmen schon zu Lebzeiten spürt. Bevor es demjenigen zu bunt wird.

Holger, warscheinlich ist Liebeskummer nicht so schlimm wie die Empfindungslosigkeit, die viele quält. Stelle mir vor, daß man sich selbst sehr fern sein muss, bevor man sich aufschneidet.

Henkki Zakkinen, Vorbild für diese Zeilen war eine junge Frau, die ich vor Jahren kannte. Mitten im Erzählen sagte sie: "Und dann schneid' ich mir halt mal wieder in den Arm." Auf meine Frage, warum sie dies denn tue, sagte sie, daß sie nur so wieder etwas fühlen könne. Nettes Mädchen und eine traurige Geschichte. Ihre Eltern waren beide (!) Psychotherapeuten. Schon bitter.

Step, ob sie immer noch salzige Tränen weint, weiß ich nicht genau. Aber etwas Schönes kann ich doch berichten. Als ich besagte junge Frau nach Jahren zufällig wiedersah, war sie lange in Mittelamerika gewesen. Und stand vor mir Hand in Hand mit einem Mann, den sie dort kennengelernt hatte. Sie lachte. Und auch wenn die Dunkelheit wohl nicht einfach vergeht, sah sie glücklich aus.

Als Dank für die schönen Gedichte und Kommentare geht morgen (per Paketpost!) ein 1,90x1,20 großer Spiegel an Euch. Damit wir sie alle ein bißchen besser sehen, unsere dunkle Seite.
Denken wir an die, die es nicht hierher geschafft haben. Ob Selbstmord, eine lange Krankheit oder eine Sprengfalle in irgendeinem beschissenen Kaff auf diesem Planeten. Es ist  —  bei aller Trauer  —  dennoch wundervoll, daß sie einmal da waren:
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na, ogden, interessante bildersammlung diesmal! hast du schwermuetige begriffe gegoogelt, oder entstammen die werke deinem privaten portfolio?
die baby-bilder kommen ein wenig unerwartet: bist halt doch ein guter onkel!
… & danke fuer die muehe.

Sehr nett von Dir. Die Bildersammlung stammt aber nicht von mir. Mein alter Brieffreund Coach Petterson hängt seinen Mails immer ein deprimierendes Bild an. Ist aber auch hart für ihn. Jetzt hat er, glaube ich, gerade seinen vierten Schüler verloren:
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