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Texte von Björn Ziegert

Jupp

Die warnenden Worte waren mir noch im Ohr, als Jupp lauthals verlangte, zum Supermarkt geschoben zu werden ("Der wird bestimmt Alkohol trinken wollen. Das müssen Sie verhindern! Den Schlaganfall hat er schon vom Saufen."). Zwanzig Minuten bergab zum Laden, mühsames Zureden das Schnapsregal links liegen zu lassen, drei Packungen Marlboro an der Kasse, Feuerzeuge blau und rot und dann "Zwei Kognak! Die kleinen da! Doch, doch, natürlich! Was willst Du denn, ich war im Knast! Los!"
Jupp ist älter als ich, halbseitig gelähmt und der Arm auf der gesunden Hälfte von einem harten Unfall zu dürrem Astwerk geschrumpft. Sein "Ich kann laufen. Ich kann laufen!" trifft die Sache nicht ganz, denn er muss dazu in eine Maschine eingespannt werden, die an den Laderoboter aus Alien II erinnert. Seine Tätowierungen sehen schief und krumm aus, und die drei Tränen am rechten Auge wird ihm ein Zellengenosse mit der Sicherheitsnadel gestochen haben.
Der erste Kognak – 99 Cent in der Plastikflasche – wird geöffnet, als die Ladentür zwei Meter hinter uns liegt. Ich muss ihm die Flasche aufschrauben und an den Mund setzen ("Noch, noch! Und rauchen!"). Er raucht erst seit fünf Jahren ("Seit gar nichts mehr geht."). Die Zigarette stecke ich ihm angezündet in den Mund. Er atmet den Rauch ein während er redet, lässt die Asche auf den Bauch fallen ("Das macht nichts! Ach, das macht doch nichts!") und spuckt den Stummel schließlich mühsam zur Seite gebeugt wieder aus. Wir sitzen auf dem Parkplatz. Er in seinem Renaissance-Rolli, ich auf dem Kantstein. Es ist warm. Leichter Wind. Ein stiller Nachmittag in einem Industriegebiet, das die besten Tage hinter sich hat. Jupp hat Tropfen auf dem grauen T-Shirt. Die Fleecejacke ist voll Asche. Eine gnadenlose Fahne. Mir schwant Übles, wenn ich an Schwester Andrea denke.
Aber vorher muss ich ihn den ganzen Berg wieder hoch schieben. Das werden wohl mehr als zwanzig Minuten.

13 Kommentare

Das mit Jupp könnte der vielversprechende Anfang einer grossangelegten Sisyphos-Arbeit sein, die dir von höherer Warte aus wohlwollend in Aussicht gestellt und zu gegebener Zeit vollumfänglich überantwortet wird...

Grüsse bergauf,
Brigitte

Hallo Bjoern.
Dein Text gefällt mir. Schön, dass Du mal wieder was geschrieben hast.
Wie ist es denn mit Schwester Andrea ausgegangen?
LG - Wolfgang

schoen, dass du dich wieder mit Jupp triffst - ihr habt immer so schoen schach miteinander gespielt, & ich bin froh, dass du wenigstens einen freund hast.
schoen auch, dass du wieder tagebuch schreibst
(~_^)

Endlich wieder!
"Sein 'Ich kann laufen. Ich kann laufen!' trifft die Sache nicht ganz, denn er muss dazu in eine Maschine eingespannt werden, die an den Laderoboter aus Alien II erinnert", - top! Ich bin verzückt von Freund Jupp!

Beeindruckender Text!

Das ist ein perfekter Text!

Schön, wieder von dir zu lesen.
Und noch schöner, dass man nicht nur so darüberhin lesen kann.

Lieben Gruß


(schickes, neues Kleid hast du auch, gefällt mir gut)

Rechte Hand in Gips, daher beharrliche Versuche, das Tippen zu revolutionieren. Aber dieses FünfFingerSystem ist alles andere als schnell. Werde wohl noch eine Titanplatte samt Schrauben verpasst bekommen (und in Zukunft wohl an jedem Flughafen Terroralarm auslösen). Kurz: langsamer als gedacht wird hier wieder Leben einkehren. Anworten auf Eure Kommentare etwas später, vorerst Gruß und vielen Dank Euch allen. Morgen zum Handchirurgen, der sich sicher als PotzBlitzWunderheiler entpuppen wird. Habe Angst, schlafen zu gehen, die Bilder von dem menschenleeren unterirdischen Gang zum Krankenhausneubau sind mir noch vor Augen, und ich kann mir vorstellen, was heute Nacht auf mich wartet …

Oh, da hast du wohl ins Glück gefasst?

Gute Heilung und auch sonst alles Gute


litteratte

Danke! Sportklassiker. Heute 'Staubsaugen einhändig'. War verdammt knifflig, das Rohr auszuziehen! Verdammtes Biest.

es siegt der Geist über die Materie, über Staubsauger.

Über Staub! Das wär meine Botschaft.

Und im Handumdrehen ist nichts mehr wie vorher...
Ach, das tut mir Leid für dich. Ich hoffe, der Handchirurg hat sein Bestes gegeben und deine Selbstheeilungskräfte sind voll aktiv.

Beste Genesungswünsche jedenfalls und liebe Grüsse,
Brigitte

Nachtrag: Bei Sisyphos kommt mir Camus in den Sinn, und jugendliche Gespräche, wer von uns denn nun ein Typ Selbstmörder sei. Heute sehe ich Dinge praktischer, das pommersche Bauernblut meiner Vorfahren bricht sich Bahn, und bereitwillig werde ich zum Scarabaeus sisyphons, auch wenn Jupp für den Vergleich mit einer Mistkugel sicher ein paar üble Schimpfworte parat hätte. Hasstiraden hatte ich auch von Schwester Andrea erwartet, doch sie saß seelenruhig hinter dem Panzerglas der 'Überwachungskabine Ebene II'. Wie sie nicht bemerken konnte, daß sich die Luft im Korridor unter der Kognak-Glocke verbog und ähnlich einer Fata Morgana zu flimmern begann, ist mir noch immer unerklärlich. Habe inzwischen Rat eingeholt und werde in Zukunft auf Gin bestehen. Britannische Königshäuser sollen ja auf diese Weise ganze Generationen von Säufern verborgen haben. Mysteriöses hört man auch über die Schachspiele Jupps. Während er mir gegenüber von "selten und schlecht" spricht, hat mich Anneliese, 98 Jahre, auf ein Foto hingewiesen, das ich nach längerer Suche im Kellerflur fand. Es zeigt Jupp in Siegerpose neben einem deutlich verschreckten Tony Miles. Auf der Rückseite des Bildes ein Datum, 12.11.2001. Jupp wollte bisher kein Wort darüber sagen. Und mich schaudert, wenn ich darüber nachdenke, was an diesem Tag, dem Todestag dieses ersten englischen Schachgroßmeisters, geschehen sein mag. Auch eine leicht straffere Einstellung der Kopfklemme während er im Laderoboter steckte ("Gehen sie doch mal kurz zu Schwester Andrea rauf, ich komm hier mit Jupp schon zurecht."), hat sein Schweigen nicht brechen können. Ich bleibe am Ball, jedenfalls haben mich später die Farben der Blutergüsse an Jupps Kopf zu dem neuen Kleidchen dieses Blogs inspiriert (kommt mir daher vor, als würde ich hier auf eine digitale Kopfquetsche starren). Ob mich der Himmel nun für die Foltertaten gestraft hat, kann ich nicht sagen. Aber ich danke Euch herzlich für die Genesungswünsche und auch für die freundlichen Komplimente, die dem Text galten. Das Dankgeschenk für die Kommentare muss heute leider ausfallen, da ich Schwierigkeiten habe, Pakete zu packen.
Mein 'Super Taper' Haarschneider scharrt auch schon mit den Füßen. Wird mal wieder Zeit, aber das wird wohl gehen mit links. Sonst kenne ich da eine gute Alternative (Right to the bone!):
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