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Texte von Björn Ziegert

Zorn

„Isch bin zo’nnisch! Ne, escht! Isch bin so saue‘!“ Jupp hat Schweiß auf der Stirn. Er duckt sich und schüttelt dabei den Kopf. „Nee, nee, nee. Also eh’lisch!“ Während er redet, starrt er rechts aus dem Fenster. Auf den leeren Balkon. „Zwei Hose‘. Zwei Hose‘! Ei‘ Lede’jack‘, Hemde‘, un a‘ Strickjack‘. Un‘ mehr. Nein, nein – das liescht ja alles im Keller. Aber nix is‘!“ Jupps Klamotten von früher sind nie mehr aufgetaucht. Im Keller des Heimes wurden seine Kleidung und die Stereo-Anlage („Zweitausend Euro! EURO!“) eingelagert. Zumindest hatte man ihm das gesagt, als er vor zweieinhalb Jahren in dieses Heim kam. Seitdem muss er mit den paar Sachen auskommen, die bei ihm im Schrank sind. Jupp rollt rüber und klappt die Türen auf. In dem halbhohen Wäscheschrank liegen fünf oder sechs Unterhemden, ein paar Unterhosen und ein bunter Lappen. Drei Fächer, nicht einmal halb gefüllt. In dem hohen Schrank daneben: eine Jacke aus altem Wildleder, eine Strickjacke in beige, eine Handvoll Bügel mit Hemden oder Sweatshirts. Unten steht ein Karton mit zwei Paar Schuhen. Turnschuhe und gelbe Espadrilles. Jupp klappt die Türen wieder zu. Außen die Namensschilder: mit Filzstift auf Kreppklebeband. Sein Zimmergenosse – der ‚Milljonär‘ („Drecksack, der!“) – hat die andere Hälfte der kleinen Schrankwand. Zwei Leben auf einem Meter zwanzig.
Wir setzen uns auf den Balkon. Es ist kalt geworden, Jupp friert. Er zieht an seiner Marlboro – vier-, fünfmal ohne Pause. Die Asche fällt an ihm herunter. Er trägt das gleiche Hemd wie beim letzten Mal. Unten am Ärmel ein neues Brandloch. Immer wieder gibt es wegen der Kleidung Streit mit der Heimleitung. „Ja, des geht nit, des geht nit. Isch sach‘: wieso? Wieso geht des nit? Isch muss doch Hose habbe! Abe‘ nix! So ei‘ paar A’schlöscher! Nee, nee, nee.“
Nach dem letzten Streit ist er abgehauen. Er hat es bis zum Busbahnhof geschafft. Dann war Schluss. Jupps Oberlippe zittert vor Wut. „Isch bin zo‘nnisch! Ne, escht! Isch hab‘ Zo’nn!“

13 Kommentare

Das sieht mir ganz nach heiligem Zorn aus. Und der ist in diesem Falle gerechtfertigt. Ne, escht!!!

Solidarische Grüsse,
Quer

Allzu verständlich!

PS: Das ist ja geradezu Entmündigung! Gibt es dafür eigentlich eine rechtliche Grundlage?

Interessanterweise wohl ja. Vom Knast ins Altersheim mit Verwahrbeschluss. Und das Gefühl der Entmündigung kommt wohl auch von den Mitarbeitern. Von der Art, wie sie die Heimbewohner behandeln. Keine gute Sache, so zu enden.

°Jupp rollt rüber°, erinnert mich an dich..! seehrkool

Und diese "Unterbringungen" sind dann auch noch schweineteuer!

Für ihn gehen da deutlich über fünftausend Euro pro Monat vom Staat ans Heim. Ist nicht ganz leicht, sich vorzustellen, was genau an seiner Unterbringung diese Summe ausmacht. Überhaupt höre ich viel, daß eine engagierte Heimleitung viel erreichen kann. Und das es tolle Projekte gibt. Da schmerzt der Blick in den toten Flur schon doppelt.

Die Unterbringung von sozialen Problemfällen (Alte, Jugendliche, Desorientierte) ist in der Tat ein Feld, auf dem viel Geld zu machen ist (kein Mietschuldner ist beliebter unter Miethaien als das Sozialamt).
Der Satz "Ist nicht ganz leicht, sich vorzustellen, was genau an seiner Unterbringung diese Summe ausmacht." ist aber polemisch. Rechne einfach mal nach, was es kostet, 24 Stunden am jedem Tag jeder Woche (i.e. auch Samstags und Sonntags und Nachts) ausreichend ausgebildete Fachkräfte bereit zu halten, um jedem Hüsterchen und Schluckauf und Harndrangs eines Pflegebedürftigen die gesetzlich vorgeschriebene Aufmerksamkeit zu zollen. Dann bist du schnell bei Summen im Bereich jenseits der 3-4 Tausend je Monat und pro Person. Falls du nicht die Menschen in 12-Mann-Zimmern in Doppelstockbetten mit Morgen- und Abendappell und Sammeln zum Essen fassen unterbringen willst.

Stimmt natürlich. Das 'polemisch'. Und, daß dafür viel Geld ausgegeben werden muss, muss jedem klar sein. Auch schätze ich im Großen die, die in dem Pflegebereich tätig sind, ungemein. In diesem speziellen Fall fiel mir nur auf, wie schlecht das Heim im Vergleich wirkt. Ich höre von anderen Heimen, bei denen die Tage sinnvoller gestaltet werden. Aber in diesem Heim ist der Unterschied zur reinen Aufbewahrung nicht klar zu erkennen. Habe (auch von den Pflegerinnen) sehr üble Geschichten gehört. Daher die Polemik. Generell muss wohl deutlich mehr Geld in diesen Bereich gesteckt werden. Alleine der Aufwand, um wieder gehen zu können:  Audio-Slide (sorry for advertisement)

Danke für Eure Kommentare! bleibt nachzureichen, daß die letzten Wochen vor allem genutzt wurden, um Fiffi zu brauen. Jupp hat Knastrezepte ausgepackt, wir haben die Soße 14 Tage gären lassen (Plastikkanister), und jetzt dämmert mir, daß der Oktober schon lange hinter uns liegt. In meinem Hirn gähnt ein Loch von mehreren Wochen. Jede Zelle hat sich mit dem süßlichen Hefe-Marmelade-Schnaps vollgesogen, und ich werde wohl erst wieder nüchtern sein, wenn es so aussieht:  Audio-Slide

Herrlich übrigens. Kann nur Kopfhörer und Fullscreen empfehlen.

Wie kommst du nur immer an diese tollen Audio-/Video-Präsentationen heran? Auf diese mit den Schneebildern werde ich auch in einem Blog-Eintrag über Schnee verweisen.

Erstaunlicherweise in Deutschland nicht wirklich verbreitet. Jedenfalls die Audio-Slideshows. Die Kombination mit Video finde ich eigentlich uninteressant. Die bewegten Bilder beanspruchen imho zu viel Aufmerksamkeit und die Tonspur kommt zu kurz. Zu finden sind die Sachen vor allem auf US-amerikanischen Online-Medien oder auf Seiten von Fotografen. Aufgerissen hat mich wohl Artturis '191 seconds in Japan'. Hier jedenfalls ein kleines ranking meiner Lieblinge:

N°1:  Mariupol
N°2:  191 seconds in Japan
N°3:  A3 Tunnel
N°4:  The Ninth Floor
N°5:  COP15

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