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Texte von Björn Ziegert

Spessart, Tag 3

Der Besuch
Es ist gegen zehn. Der Schlafsack lüftet, das  kleine Handtuch – feucht von der Morgenwäsche – wird langsam steif, der Topf hat die erste Runde Haferbrei hinter sich und steht schon wieder auf dem Kocher, um Schnee zu schmelzen.
Hinten am Waldrand, auf der anderen Seite des Tales, bewegt sich etwas. Schäferhund. Arbeitet sich durch den Schnee in meine Richtung. Gute zehn Meter vor mir bleibt der Hund stehen, schaut mich ruhig an, bellt nicht, dreht seinen Kopf zu dem Mann, der ein gutes Stück hinter ihm mit dem Schnee kämpft, und wartet.
Als der Mann näher kommt, rufe ich ihm einen Gruß zu und „Der Kaffee ist gleich fertig!“ – keine Antwort. Aber er stapft direkt auf mich zu, setzt sich auf die Isomatte, die ausgebreitet über dem dicken Baumstamm liegt, und nimmt die Mütze ab. Heißt Hannes.
Hannes klopft sich erstmal den Schnee von den Turnschuhen. Weiße Nikes („Mit denen kann ich besser gehen als mit Winterstiefeln!“). Er hat eine beigefarbene, wattierte Jacke an, im Gesicht viele Falten, Tropfen an der Nase.
„Nee, nur am Wochenende. Da kommen mal welche aus Frankfurt. Im Sommer. Aber sonst ist hier kein Mensch.“ Sein Schäferhund ist scheu, er lässt sich nur kurz streicheln und legt sich in den Schnee.
Hannes erzählt von Reitern, die hier manchmal unterwegs sind, und dass es hier viel Pferde gebe. In seinem Dorf hat einer acht, ein anderer neun und „einer dreiundneunzig – ho, ho, ho! Dreiundneunzig! Bei dem hab‘ ich früher gearbeitet. Pferde raus – und Pferde wieder rein.“ Aber das ginge ja jetzt alles nicht mehr. Krebs. Und auch die Knochen kaputt. Die Ärzte hätten ihm gesagt, sein linkes Knie sei nur noch Matsch. Aber ein künstliches Gelenk käme für ihn nicht in Frage. „Nee, nee! Mach‘ ich nicht.“ Seit vier Jahren trinkt er keinen Alkohol mehr, damit er länger lebt. Und keine Ahnung, ob er es sonst bis zum heutigen Tag geschafft hätte. Der Honig im Kaffee gefällt ihm. Will er ausprobieren, weil er keinen Zucker mehr nimmt – „wegen Ernährung“.
Ich solle ihn doch besuchen, wenn ich wieder im Spessart sei. Ich krame einen Zettel aus der Tasche und halte ihm einen Stift hin, damit er seine Adresse aufschreibt. „Nee, schreib du mal.“ Ich blicke auf seine Hände. Die Gelenke sind geschwollen, ein Finger steht ganz schief.
Als die beiden gehen, stehe ich eine Weile im Schnee, trinke den letzten Schluck Kaffee und schaue ihnen hinterher.
Gegenüber am Hang wieder dieses laute Knacken. Frostrisse im Holz.

3 Kommentare

Sag mir, wem du im Extremfall begegnest und ich sage dir...
...ach was, das ist eine Geschichte, die unter die Haut geht, auch unter die eiskalte...

Tut ganz gut, mal Raum zu schaffen für ungewöhnliche Begegnungen:  Audio-Slide

gefällt mir, sehr bildlich geschrieben.

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