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Texte von Björn Ziegert

Jupp

Alle Texte zum Thema „Jupp“.

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Unerwünscht

„Sag mal, werden die Aschenbecher hier nie ausgeleert?“ „Ach wo. Ach wo denn! Hier is‘ doch nie einer!“ Jupp fuchtelt mit der dürren Hand, rückt sich im Rollstuhl zurecht und blickt starr nach rechts. Das macht er immer, wenn er sich aufregt. Zweiter Stock, wir sitzen draußen auf dem Balkon. Es ist windig, die Tür hinter mir knallt gegen den Rahmen („Scheißding, dieses …“). An die dreißig Meter wechseln sich Fenster und Glastüren ab. Eine Brüstung aus dickem Beton, als Boden ein Drahtgitter, unter dem Gitter steht schwarzes Wasser. Auf dem Mülleimer ein Berg von durchnässten Kippen. „Da wär‘ ich lieber noch im Knast! Eh’lisch. Hunnertvier Jahr‘, sibbenunneunzisch Jahr‘, sechsunachtzisch Jahr‘ … nee, fünfunachtzisch Jahr‘. Und schlafen, immer schlafen. Hier ist doch nischts! Gaar nischts!“ Die anderen Balkontüren sind alle geschlossen. Kein Mensch zu sehen, außer uns. Nur ein Flugzeug im Landeanflug. Jupp schaut misstrauisch hinterher.
Die Supermarktbesuche sind erst mal gestrichen, weil ich ihn mit der gebrochenen Hand nicht mehr schieben kann. Nächstes Mal soll ich ihm Schafskäse und Peperoni mitbringen. Und grobe Salami. „Tscha ja … na dann, alter Freund.“ Ich schaue ihn an. Jupp hat nicht mehr viele Menschen. Auch seine drei Kinder haben ihn seit Jahren nicht mehr besucht. Er war zweimal verheiratet. Einmal fünfzehn, einmal elf Jahre. („Dann hast du die Kinder alle mit Helga?“ „Nee, nee.“)
Zu Fuß nach Hause. Den Berg runter, links das alte Kasernengelände, dann am Laden vorbei. Der ‚Istanbul Market‘ hat ein Camping-Vorzelt aufgestellt, um die billigen Tomaten zu schützen. Ein paar dunkle Wolken stehen am blauen Himmel. Regentropfen auf der Sonnenbrille. Ich drehe mich einmal um mich selbst und vermisse den Regenbogen. Lauterborn ist wohl zu arm für eine Schüssel voll Gold.

Jupp

Die warnenden Worte waren mir noch im Ohr, als Jupp lauthals verlangte, zum Supermarkt geschoben zu werden ("Der wird bestimmt Alkohol trinken wollen. Das müssen Sie verhindern! Den Schlaganfall hat er schon vom Saufen."). Zwanzig Minuten bergab zum Laden, mühsames Zureden das Schnapsregal links liegen zu lassen, drei Packungen Marlboro an der Kasse, Feuerzeuge blau und rot und dann "Zwei Kognak! Die kleinen da! Doch, doch, natürlich! Was willst Du denn, ich war im Knast! Los!"
Jupp ist älter als ich, halbseitig gelähmt und der Arm auf der gesunden Hälfte von einem harten Unfall zu dürrem Astwerk geschrumpft. Sein "Ich kann laufen. Ich kann laufen!" trifft die Sache nicht ganz, denn er muss dazu in eine Maschine eingespannt werden, die an den Laderoboter aus Alien II erinnert. Seine Tätowierungen sehen schief und krumm aus, und die drei Tränen am rechten Auge wird ihm ein Zellengenosse mit der Sicherheitsnadel gestochen haben.
Der erste Kognak – 99 Cent in der Plastikflasche – wird geöffnet, als die Ladentür zwei Meter hinter uns liegt. Ich muss ihm die Flasche aufschrauben und an den Mund setzen ("Noch, noch! Und rauchen!"). Er raucht erst seit fünf Jahren ("Seit gar nichts mehr geht."). Die Zigarette stecke ich ihm angezündet in den Mund. Er atmet den Rauch ein während er redet, lässt die Asche auf den Bauch fallen ("Das macht nichts! Ach, das macht doch nichts!") und spuckt den Stummel schließlich mühsam zur Seite gebeugt wieder aus. Wir sitzen auf dem Parkplatz. Er in seinem Renaissance-Rolli, ich auf dem Kantstein. Es ist warm. Leichter Wind. Ein stiller Nachmittag in einem Industriegebiet, das die besten Tage hinter sich hat. Jupp hat Tropfen auf dem grauen T-Shirt. Die Fleecejacke ist voll Asche. Eine gnadenlose Fahne. Mir schwant Übles, wenn ich an Schwester Andrea denke.
Aber vorher muss ich ihn den ganzen Berg wieder hoch schieben. Das werden wohl mehr als zwanzig Minuten.

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