wortgebrauch Gedichte Texte Satire

Texte von Björn Ziegert

Kurztexte

Alle Texte zum Thema „Kurztexte“.

1 2 3

Spessart, Tag 4

Kommen wir zur Königsdisziplin des Wanderns – Arschrasur bei strengem Frost.
Variante A, das breitbeinige Absenken über schmalem Flüsschen ist nicht zu empfehlen. Rutschige Uferkanten oder auch herantreibende Eisstücke – von hinten – erduldet nur der Hartgesottene.
Variante B, ‘Trockener Hobel‘, führt in die nächste Dorfdrogerie („Geh’n sie mal Gang 3, hinter der Säule, die Penaten-Sachen.“).
Variante C, die ‘lange Wandermatte‘, sowie Variante D, die Wuchernde (Volksmund: Frecher Igel), sind naturnäher (haben aber andere Schattenseiten). Bleibt Variante E.

Spessart, Tag 3

Der Besuch
Es ist gegen zehn. Der Schlafsack lüftet, das  kleine Handtuch – feucht von der Morgenwäsche – wird langsam steif, der Topf hat die erste Runde Haferbrei hinter sich und steht schon wieder auf dem Kocher, um Schnee zu schmelzen.
Hinten am Waldrand, auf der anderen Seite des Tales, bewegt sich etwas. Schäferhund. Arbeitet sich durch den Schnee in meine Richtung. Gute zehn Meter vor mir bleibt der Hund stehen, schaut mich ruhig an, bellt nicht, dreht seinen Kopf zu dem Mann, der ein gutes Stück hinter ihm mit dem Schnee kämpft, und wartet.
Als der Mann näher kommt, rufe ich ihm einen Gruß zu und „Der Kaffee ist gleich fertig!“ – keine Antwort. Aber er stapft direkt auf mich zu, setzt sich auf die Isomatte, die ausgebreitet über dem dicken Baumstamm liegt, und nimmt die Mütze ab. Heißt Hannes.
Hannes klopft sich erstmal den Schnee von den Turnschuhen. Weiße Nikes („Mit denen kann ich besser gehen als mit Winterstiefeln!“). Er hat eine beigefarbene, wattierte Jacke an, im Gesicht viele Falten, Tropfen an der Nase.
„Nee, nur am Wochenende. Da kommen mal welche aus Frankfurt. Im Sommer. Aber sonst ist hier kein Mensch.“ Sein Schäferhund ist scheu, er lässt sich nur kurz streicheln und legt sich in den Schnee.
Hannes erzählt von Reitern, die hier manchmal unterwegs sind, und dass es hier viel Pferde gebe. In seinem Dorf hat einer acht, ein anderer neun und „einer dreiundneunzig – ho, ho, ho! Dreiundneunzig! Bei dem hab‘ ich früher gearbeitet. Pferde raus – und Pferde wieder rein.“ Aber das ginge ja jetzt alles nicht mehr. Krebs. Und auch die Knochen kaputt. Die Ärzte hätten ihm gesagt, sein linkes Knie sei nur noch Matsch. Aber ein künstliches Gelenk käme für ihn nicht in Frage. „Nee, nee! Mach‘ ich nicht.“ Seit vier Jahren trinkt er keinen Alkohol mehr, damit er länger lebt. Und keine Ahnung, ob er es sonst bis zum heutigen Tag geschafft hätte. Der Honig im Kaffee gefällt ihm. Will er ausprobieren, weil er keinen Zucker mehr nimmt – „wegen Ernährung“.
Ich solle ihn doch besuchen, wenn ich wieder im Spessart sei. Ich krame einen Zettel aus der Tasche und halte ihm einen Stift hin, damit er seine Adresse aufschreibt. „Nee, schreib du mal.“ Ich blicke auf seine Hände. Die Gelenke sind geschwollen, ein Finger steht ganz schief.
Als die beiden gehen, stehe ich eine Weile im Schnee, trinke den letzten Schluck Kaffee und schaue ihnen hinterher.
Gegenüber am Hang wieder dieses laute Knacken. Frostrisse im Holz.

Spessart, Tag 2

Was gefriert:
Zahncreme hält sich tapfer bis -10°, Listerine Mundspülung trotzt allem (-15° kein Problem, hartnäckiges Zeug); Olivenöl wird fest, ist aber hübsch löffelbar;  Hansaplast Wunddesinfektionsspray unbrauchbar, gefriert sofort  (ersetzen durch Listerine?); Deo-Roller: keine Chance, muss wie das Hansazeug direkt an den Körper; feuchtes Toilettenpapier: friert (was doof ist – vor allem, wenn man es zu spät merkt …); Lederstiefel, Lodengamaschen: bretthart (eigentlich in den Schlafsack, da aber schon Überbelegung wg. Trinkwasser und Klamotten) – also morgens mit warmen Socken in die eiskalten Schuhe, dann Gamaschen, Kaffee in die Hand – und nicht unbedingt allzu lange stillstehen … Schladming tut aber gute Dienste, ein Lied:

Lob der Lodengamasche
Oh, Wadenwams! Oh, Waffeleisen! Waschbare Walhalla!
Welch Weber wirkte, walkte dich, du Weltenwunderwunsch?
Ob Warschaus Wälder, Wolgograd …


Journal:
Am Morgen nach der ersten Nacht – mit warmen Füßen – weiter auf dem ‚Eselsweg‘.
Der sich nach einiger Wanderung unter einer verschwiegenen weißen Decke unsichtbar macht. Erst nach dem Queren von verschneiten Äckern, dem Rat eines rüstigen Winterjoggers („Die Straße hoch und dann rechts. Da ist aber nicht gespurt!“ „Ja, ja. Schon klar.“) und nach drei Kilometern Asphalt taucht er wieder auf. Rechts zwischen den Bäumen: ein schwarzes ‚E‘ auf weißem Grund – das Wegzeichen des Eselsweges. Dankbar lasse ich die Straße hinter mir (und die Nahtoderfahrung mit der Unimog-Winterdienst-Flotte).
Der Waldweg ist leicht abschüssig. Kahle Birken, eine Blaumeise, weiter unten ein kleiner Bach. Nur das leise Plätschern ist zu hören, sonst eine zauberhafte Stille, und dann – ‚Flomp!‘ – der Boden gibt nach, und ich stecke (samt Rucksack!) bis zum Kinn im Schnee.
Kurzer Blickwechsel mit der Blaumeise.
Und während ich mit Schwimmbewegungen langsam auftauche, wird mir klar, warum vor mir keine Fußspuren mehr zu sehen waren …

Spessart, Tag 1

Journal:
„Da is‘ aber nicht gespurt!“ sagt die Bäuerin mit dem einen Zahn. Sie steht zwischen gefrorenem Mist und umgekippten Schubkarren und weist mir den Weg. Meine Landkarte war falsch. Ein verschneiter Weg hatte mich nicht auf den ‚Eselsweg‘, sondern auf einen kleinen abgeranzten Hof geführt.
Kaum stand ich da, zwischen einem kaputten Schuppen und dem gefrorenem Mist, schlurfte die Einzahnige heran. Dickbäuchig. Die Hände in den Taschen der Arbeitshose verborgen (‚Raiffeisen‘, grün mit Kniebesätzen aus grauem Cordura). Ich mochte die Frau. Sie paffte entspannt eine Zigarette, die in ihrem Mundwinkel hing. Wippte von einem Bein auf's andere und wunderte sich über gar nichts. „Geh da mal quer hoch, und an den Bäumen links. Dann komms’u auf den Weg, und den ’n ganzes Stück hoch. Muss’u aber über zwei Zäune rüber.“ Und – nicht gespurt.
Nicht gespurt heißt eine Stunde durch knietiefen Schnee bergauf. Volle Winterausrüstung, Essen für eine Woche, ein paar Liter Wasser und an den Beinen diese sauschweren Gamaschen aus Schladminger Loden.
Oben auf dem Kamm dann freie Sicht: Hügel auf Hügel nur dunkler, tiefer Wald. Bis zum Horizont. Und nichts – keine Siedlung, keine Lichter. Nur Wald. Der Spessart.

Sopranflöte

Das Konzert der Flötenschule fand um sechzehn Uhr statt. Im Villenviertel. Weiße Altbauten, Volvo Kombi, ein Hündchen mit roter Jacke. Nummer 34a, links die Einfahrt rein, am Haus vorbei. Hinten der Friedrich-Rittelmeyer-Saal. Im Garten.
Und dann: Töne über Töne! Zwei kniehohe Mädchen mit Schleifen in den Haaren und einer beklatschten Melodie, die aus C, D und F bestand.
Ein Damenquartett mit nervösen Blicken – drei ihrer Flöten waren gestimmt, die vierte einen Halbton drüber. Die Damen spielten schief, zuckten mit den Schultern, ließen schließlich die Instrumente sinken und riefen nach der Lehrerin. Die rauschte heran in ihrem schwingendem Kleid und den Tanzschuhen. Graue strenge Haare, Nickelbrille, gebeugter Kopf, winzig und dürr. Und suchte aufgeregt in den Noten („Jaaa, jaaa, das ist ja gar kein Problem. Gaaar kein Problem, hier … wo ist denn das jetzt …?"). Sie zeigte auf die Stelle, bei der wieder begonnen werden sollte und das Drama begann erneut.
Später ein Trio mit einem Mädchen, das im Rollstuhl saß und wohl Fehler bei ihrer Mitspielerin hörte. Strafendes Auge nach oben und langsames Kopfschütteln – mit Flöte!
Und wieder die Lehrerin mit ihrem „Sooo, jetzt spielt uns die Lisa mal den tiefsten Ton auf ihrem Instrument, sooo, jaaaah! Oooooh!“ Und das alles in den engen Reihen der Elternschar. Weit vom Ausgang und sogar weit vom nächsten Gang entfernt. Wie früher! Eingezwängt. Verdammt, die ganze Stunde – bis zur Pause – auf dem kleinen Steckstuhl auszuharren!

1 2 3

nach oben

nach oben